14 Tage auf der MS Hamburg Richtung Buenos Aires - 12 Vorträge - komm mit an Bord!
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Auf so einer Kreuzfahrt erzählen sich die Passagiere sehr gern gegenseitig Geschichten aus ihrem Leben. Häufig sind es sehr bewegende und aufwühlende Erlebnisse, die auch noch nach vielen Jahrzehnten ihren Platz im Gedächtnis haben. Ich liebe es, die Biografien von anderen Mitreisenden zu erfahren. Auf einem kleinen, feinen Kreuzfahrtschiff wie der MS Hamburg (maximal 500 Passagiere) ist dafür auch genügend Zeit und Muße. Auf diesem Wege erlange ich einen immer tieferen Einblick in die emotional-kognitiven Höhen und Tiefen des menschlichen Gehirns. Dieses Wissen kann ich hervorragend für mein Neurocoaching nutzen, wenn es darum geht, anderen Menschen aus ihrer depressiven Verstimmung, Hilflosigkeit oder auch Erschöpfung und ihren Stressbelastungen zu helfen.
Während meiner aktuellen Fahrt über den Atlantik ist mir in diesem Zusammenhang etwas sehr Spannendes und Interessantes aufgefallen, was ich nicht für mich behalten will.
Von sich sorgenden Müttern (und Vätern)
Wenn es die Zeit erlaubt, dann erzählen mir Frauen häufig etwas über ihre Sorgen und Nöte mit der Familie. Vielen geht es dabei vor allem um die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Nächsten, Freunde und Verwandte. Ihr Ziel ist es, stets neue Heilungsmethoden und Diagnosestellungen von professionellen Fachleuten zu erhalten, um diese dann erfolgreich an sich selbst und an allen anderen Familienmitgliedern auszuprobieren. Mir scheint, das weibliche Geschlecht ist eben häufig darauf bedacht, alle liebgewonnenen Menschen um sich herum gesund zu erhalten und glücklich zu machen. So weit, so gut.
Sich um die Familie Sorgen zu machen, das ist durchaus etwas sehr Wunderbares und Hilfreiches. Doch wenn sich dieses „sich für andere interessieren und kümmern“ mit einem ausgeprägtem „Sendungsbewusstsein“ und „Helfersyndrom“ verbindet, dann wird es meistens für alle Beteiligten schwierig. Die Sendungsbewusste stößt allzu häufig auf taube Ohren oder sogar direkte Ablehnung und Ausgrenzung. So manche Mütter wurden schon von ihren Töchtern und Söhnen, mitten im Predigen und Helfen, des Raumes verwiesen. Was natürlich persönlich verletzt, enttäuscht und zu einer Vermeidungsstrategie führt, die nicht wirklich hilfreich ist. („Das ist nun der Dank für all meine Mühen. Aber wenn man mich nicht will, dann melde ich mich eben auch nicht mehr.“) Ganz zu schweigen vom quälenden schlechten Gewissen, welches wiederum die Töchter und Söhne überkommt.
Damit es gar nicht erst so weit kommt, lautet mein Hinweis in Richtung überbesorgter und zum Teil übergriffiger Mütter und Väter wie folgt:
„Bevor du sendest, prüfe, ob der auserwählte Empfänger auch interessiert und aufnahmebereit für deine, sicher gut gemeinten, Hinweise ist. Wenn nicht, dann behalte dein Wissen und deine Erfahrungen erst einmal für dich selbst! Suche dir Gleichgesinnte, mit denen du dich über deine möglichen Lösungsansätze und Konzepte für eine bessere Welt unterhalten und austauschen kannst.“
Diese „Botschaft“ geht vor allem an liebevolle und wunderbare Eltern, von denen ich allzu oft den folgenden Satz höre (sehr gern mit einer leicht gequälten Stimme gesprochen): „Ich meine es doch nur gut mit den Kindern.“ oder „Ich mache mir doch nur Sorgen.“. Häufig ist es gut, die eigenen Sorgen für sich zu behalten. Denn diese müssen nicht identisch mit denen der Kinder, Freunde oder Verwandten wie Kollegen sein.
Wenn wir aber dann als Berater, Unterstützer, Zuhörer oder Begleiter wirklich gebraucht werden, dann sollten wir mit all unseren Erfahrungen, unserem Wissen und unserer Liebe zur Stelle sein. Dies „in Bereitschaft sein“ tut nicht nur uns selbst emotional und gesundheitlich gut, sondern auch allen anderen um uns herum.
Und noch ein Wort an all die geplagten Töchter. Auch sorgende Mütter hören einmal auf zu reden, weil ihnen der Atem ausgeht beim Sprechen. Bis dahin hört einfach hin, nicht zu, und erledigt parallel dringende Dinge, die euch wichtig sind.
Vom Verjubeln und Genießen
Auf Kreuzfahrten gibt es aber nicht nur liebevolle Familienmütter und -väter, sondern auch eine nicht so kleine Gruppe an Witwen und alleinstehenden Damen, die mit großer Freude das ihnen noch zur Verfügung stehende Erbe „verjubelt“. Und das am liebsten mit einer sehr vertrauten Freundin. Ihr Ziel ist einfach formuliert: Ich will noch so viel wie möglich für mich erleben, schließlich habe ich ein Leben lang immer anderen Menschen, allen voran meiner Familie, gedient. „Jetzt bin ich endlich mal dran! Meine Kinder sind erwachsen und groß genug. Ich wäre ja verrückt, wenn ich denen das bisschen, was ich noch habe, bereits jetzt schon vererbe.“ So der O-Ton dieser betuchten Damen. Ihre Lieblingsorte auf der MS Hamburg sind vor allem am Vormittag der Pool, zu Mittag und am Abend der beste Tisch im Restaurant, die Teestunde und natürlich Bingo spielen am Nachmittag nicht zu vergessen. Ihr lautes, schallendes und befreiendes Lachen ist weit über das Schiff zu hören. Sehr gern werden die von der Reederei engagierten Musiker, Referenten und Künstler auf einen Drink eingeladen, verbunden mit einem feinen, gepflegten Schwätzchen über das Leben im Allgemeinen und über die Herausforderungen des Alltags im Besonderen. Wenn die Wahl auf meine Person und Kernkompetenzen fällt, was häufiger vorkommt als gedacht, dann wünschen sich die Damen vor allem Tipps und Tricks für eine lebenslange kognitive Vitalität und Wachheit. Ein wenig psychoemotionale Aufmunterung und Unterhaltung mit eingeschlossen. Schließlich will die moderne Witwe von heute nicht umsonst viele ihrer Zeitgenossen überlebt haben, insbesondere ihren Mann, sondern sie will auch noch mindestens über 100 Jahre alt werden und bis zum letzten Atemzug selbstbestimmt und autark leben. Ich persönlich finde diesen Lebensansatz ausgezeichnet, liebe daher diese Art von Gesprächen und erfreue mich an den Drinks.
Vom (Pr)ahlen und Sehnen
Bei Männern auf Kreuzfahrt gestalten sich die Gespräche häufig etwas anders. Diese Gattung von Mensch spricht am liebsten über bereits absolvierte Reisen, die natürlich alle äußerst spektakulär und einzigartig waren. Während der Unterhaltung werden dann auch gern noch die einzelnen Karrierestufen mit eingeflochten, die man(n) vor reichlich 20 Jahren erklommen hat. Und was noch möglich wäre, zu „erstürmen“, wenn man(n) noch etwas jünger als 80 Jahre wäre. Als Zielgrößen werden dann häufig die Fitnesstrainerin an Bord oder die weibliche Bedienung an der Bar aufgeführt. Sehr beliebt ist auch „name dropping“. Diese Technik soll beim Gegenüber Hochachtung und Ehrfurcht erzeugen, indem man(n) immer wieder zufällig die Namen von bekannten Unternehmern, Politikern, Künstlern, Sportlern usw. „fallen“ lässt. Verbunden mit dem Hinweis, dass einem diese Personen früher einmal sehr „nah“ gestanden hat. Und sei es auch nur während eines Cocktail-Empfangs.
Mich wundern die Gesprächsinhalte nicht, das männliche Geschlecht zeigt eben gern, was es in seinem Leben schon so alles für sich und seine Sippe „erobern“ konnte. Ich höre diesen Geschichten sehr gern zu, so lange es dabei auch etwas zu essen, zu trinken oder zu sehen gibt. Spannend wird es meistens erst dann, wenn mein Gesprächspartner dann doch etwas von mir neurowissenschaftlich wissen will. Dazu gehören immer die folgenden zwei Standardfragen: „Warum ticken weibliche Gehirne so, wie sie eben ticken?“ und „Haben Sie für mich ein paar Tipps, wie man einfach optimistischer, freudvoller und entspannter durchs Leben kommen kann? Wenn ja, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Denn die könnte ich gleich meiner Frau weitergeben.“
Liebe Männer, zu diesem Themenkomplex nur folgendes: es stimmt, das männliche Gehirn ist etwas größer und schwerer als das weibliche Gehirn. Aber vergesst nie, was uns die Wissenschaft und das Leben lehrt! Es kommt in der Biologie nicht auf die Größe an, sondern wie man mit dem ressourcenschonend umgeht, was man(n) hat. In der Geschichte ist aus dem Kleinsten schon so manch Großes geworden. Denken wir nur an Napoleon! Und: Männer, versucht gar nicht erst, das weibliche Gehirn zu verstehen, denn dieses verweigert sich von Natur aus jeglicher Erklärungsversuche. Zu gut ist die linke (Kreativität, Freude, Vielfalt) mit der rechten (Daten, Zahlen, Fakten, Logik) Gehirnhälfte vernetzt. Das ist ein eindeutiger Überlebensvorteil! Das Hin- und Herschalten zwischen Verstand, Logik, Liebe, Kreativität und Hingabe kostet zwar ab und zu mehr Zeit bei der Entscheidungsfindung, erlaubt aber in der Konsequenz ein schnelles Anpassen an sich verändernde Umweltbedingungen. Dazu kommt, dass Frauen mehr als nur ein Leben haben, mindestens 4. Ganz ihrem hormonellen Rhythmus über die Zeit entsprechend. So habe ich viele Klientinnen bei mir in der Praxis, die mit über 55 Jahren noch einmal so richtig loslegen, da sich zu diesem Zeitpunkt das wunderbare Kuschel- und Familienhormon Östrogen zugunsten des Aggressiv- und Selbstbewusstseinshormons Testosteron langsam von der Frau verabschiedet. Daher kann sich Frau auch immer wieder einmal neu erfinden, auch ohne Mann. Dieser ist von Natur aus mehr einseitig festgelegt (entweder Logik oder Kreativität, beides auf einmal geht nicht) und weniger adaptiv-beweglich im Kopf. Aber so passt eben in der Natur alles miteinander zusammen. Was sich bei dem einen abbaut (Männer in den „Wechseljahren“ verlieren an Testosteron und gewinnen an Östrogen), baut sich bei der anderen auf. Das ergänzt sich doch am Ende wunderbar, was Mann und Frau (und LGBTQ+) jedoch dabei beachten müssen: Jedem von uns steht ein bewusster Rollenwechsel über die Lebenszeit äußerst gut!
Vom Geschichtenerzählen und Glücklichsein
An dieser Stelle möchte ich noch zu einer Spezies kommen, die nicht allzu selten auf den Kreuzfahrtschiffen dieser Welt vorzufinden ist. Ich nenne diese Gruppe liebevoll: die kreativen Geschichtenerzähler. Ohne diese Gattung Mensch wäre der Alltag auf der MS Hamburg weitaus langweiliger und mühseliger.
Warum ich Geschichtenerzähler liebe? Erfolgreiches Geschichtenerzählen kann die Gehirnaktivität zwischen Sprecher und Zuhörer synchronisieren. Insbesondere das Teilen von glücklichen Geschichten erhöht das Gefühl der Nähe und die harmonisierende Gleichtaktung der Gehirne. Interessanterweise wurde dies erst aktuell durch Wissenschaftler der East China Normal Universität untersucht und herausgefunden. Die Forscher verglichen, wie emotionale Geschichten die zwischenmenschliche Verbindung und Kommunikation beeinflussen.
In der Studie sah sich ein Teilnehmer – der Sprecher – fröhliche, traurige und neutrale Videos an und zeichnete sich selbst auf, um den Inhalt der Videos zu erklären. Die Teilnehmer – die Zuhörer – hörten sich die Erzählung an und bewerteten, wie nahe sie sich danach dem Sprecher fühlten. Sowohl der Sprecher als auch die Zuhörer erledigten ihre Aufgaben, während die Forscher ihre Gehirnaktivität mit EEG maßen.
Das Ergebnis: das Teilen von glücklichen Geschichten führte zu einer besseren Erinnerung bei den Zuhörern sowie zu höheren Bewertungen der zwischenmenschlichen Nähe. Das miteinander Schwingen und Beieinander Fühlen war mit einer erhöhten Synchronität zwischen der Gehirnaktivität des Sprechers und des Zuhörers verbunden, insbesondere im frontalen und linken temporoparietalen Kortex. Interessanterweise sind diese Regionen an der emotionalen Verarbeitung bzw. an der Theorie des Geistes beteiligt. Die Synchronität des Gehirns könnte damit ein Maß für erfolgreiche Verbindung und Kommunikation werden.
Die Studie legt nahe, dass eine zwischenmenschliche Gehirnsynchronisation zwischen Gesprächspartnern während einer emotionalen Kommunikation mit bedeutungsvollen Aspekten der zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Sprecher und Hörer verbunden ist. Das Teilen von "Happy Stories" erhöht also nachweislich die zwischenmenschliche Nähe. Geschichten erzählen ist also ein profundes und kostengünstiges Mittel, um eine zwischenmenschliche Gehirnsynchronisation herzustellen, die sich wiederum emotional positiv auf das Verhältnis zwischen den Gesprächspartnern auswirkt. Daher liebe ich Geschichtenerzähler an Bord. Vor allem, wenn diese spannende, unterhaltsame und positiv bewegende Stories auf Lager haben. Und das dann noch an der Reling mit Sonnenaufgang! Was will ich, respektive mein Gehirn, mehr?
Das Problem ist nur, nicht alle Geschichten und deren Erzähler sind gleich. Häufig kommt es vor, das aus einem guten Anfang ein trauriges Ende wird. Denn das menschliche Gehirn liebt es eben, über negative, ungelöste, ärgerliche, traurige und erschreckende Dinge zu erzählen. Um sich so direkt während der Erzählung sagen zu können: Gottseidank ist dies und das bereits überstanden oder mir selbst nicht passiert. Was wiederum ein positives Gefühl der Sicherheit und Genugtuung im limbischen Gehirnteil des Erzählenden erzeugt.
Beispiel: Gestern früh stehe ich mit einem etwas älteren Herren an der Reling. Gemeinsam beobachten wir den wunderbaren Sonnenaufgang über dem Atlantik. Die Luft ist grandios, die See ruhig, das Blau des Wassers und des Himmels umwerfend. Wir kommen ins Plaudern. Mein Gesprächspartner entpuppt sich als Geschichtenerzähler. Wie wunderbar, denke ich bei mir. Er berichtet über seine Erlebnisse als Reisebegleiter auf den Meeren der Welt, erzählt von Diesem und Jenem, unsere Gehirne fangen an, sich emotional positiv zu synchronisieren. Plötzlich fragt er mich, wie tief der Ozean genau an der Stelle jetzt ist, wo wir uns gerade befinden. Ich rate, schätze so um die 3000 Meter. Er sagt, nein, genau um die 5000 Meter Tiefe. Und fügt hinzu: Genau so tief war die Stelle im Ozean, an der die Titanic unterging.
Unser Leben dreht sich darum, emotionale Geschichten mit anderen Menschen zu teilen. Egal, ob diese traurig oder glücklich sind. Aber nur das Teilen glücklicher, positiver Geschichten erhöht das Gefühl der Nähe und der positiven Emotionalität zwischen Erzähler und Zuhörer. Also achten wir doch einfach ein wenig mehr darauf, an welcher Stelle, zu welchem Moment, zu welchem Zweck wir wem unsere Geschichten erzählen. Auf Kreuzfahrten sollten dies vor allem positive und unterhaltsame sein. In diesem Sinne: weiterhin genügend Wasser unterm Kiel und volle Kraft voraus!
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