Mit was ist dein Gehirn in diesem Moment gerade beschäftigt? Ja klar, es liest diesen Text und ist mit mehr oder weniger großer Aufmerksamkeit dabei, das Gelesene zu verstehen. Vielleicht bist du gleichzeitig auch schon in Gedanken beim Abendessen oder hängst noch einem Gespräch nach, das du heute geführt hast.
Das ist ja schon einmal recht viel, wenn man bedenkt, wie viele Prozesse im Gehirn allein dafür ablaufen, um kryptische Zeichen in verständliche Informationen umzuwandeln.
Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs!
Ich zum Beispiel verspüre gerade einen leichten Durst und merke, dass meine Hände kalt sind. Ebenfalls Dinge, die im Gehirn registriert und dann an das Bewusstsein weitergegeben werden.
Aber auch das ist nur ein Bruchteil dessen, was dein Gehirn in diesem Moment leistet. Unser ganz persönlicher Hochleistungsrechner führt in jeder Sekunde unzählige Dinge aus, die gar nicht erst unser Bewusstsein erreichen.
Dein Gehirn beobachtet zum Beispiel deine Atemfrequenz und passt sie ganz automatisch an sich ändernde Situationen an, so wird dein Atem schneller, wenn du Treppen steigst, ohne dass du bewusst eingreifen musst. Aber auch über deinen Blutdruck, deinen Hormonhaushalt, deine Verdauung, dein Immunsystem, schlicht und weg über alles, was deinen Körper gesund und am Leben erhält, verschafft sich dein Gehirn stetig einen Überblick.
Das sind unbeschreiblich viele Information aus dem Körperinneren, die permanent empfangen, bewertet und bei Bedarf neu reguliert werden. Die wichtigste Aufgabe deines Gehirns besteht also darin, alle Systeme und Funktionen deines Körpers zu koordinieren und zu steuern, damit effizient Energie verbrannt und wieder aufgefüllt wird.
Gleichzeitig werden die gesammelten Erkenntnisse mit der Umwelt, also mit deinen Sinneseindrücken, abgeglichen.
Und das alles macht dein Gehirn (meistens) heimlich, still und leise, ohne dein sowieso schon viel beschäftigtes Bewusstsein damit zu belasten. Das bekommt meistens nur etwas davon mit, wenn es alarmiert wird, dann lässt es uns wissen, dass unser Körper dehydriert ist und mit Flüssigkeit versorgt werden muss, oder wir dringend Schlaf benötigen.
Es wäre in der Tat auch sehr anstrengend jedes Glucksen und Ziehen, das in unserem Inneren auftritt, direkt bewusst zu spüren.
Unser inneres Körperempfinden hat direkten Einfluss darauf, wie wir uns fühlen und wie wir uns verhalten.
Kennst du die Snickers-Werbespots, in der eine Person immer komplett ausrastet bis ihr endlich ein Schokoriegel mit den Worten „Du bist nicht du selbst, wenn du hungrig bist?“ gereicht wird? Für diesen Zustand wurde sogar ein eigenes Wort kreiert „hangry“ – die Zusammensetzung aus hungry (hungrig) und angry (wütend) – und ich bin mir sicher, auch du kennst diesen Zustand der Gereiztheit, wenn du hungrig bist. Deshalb sollten wir auch keine Entscheidungen treffen, wenn wir Hunger haben oder müde sind.
Unsere Vorgänge im Körperinneren können also direkten Einfluss auf unsere Emotionen nehmen, meist haben wir davon allerdings keine Ahnung.
Von immer größerem Interesse in der Forschung ist deshalb die Interozeption: die Fähigkeit, sich in innere Erfahrungen hinein zu fühlen und mit inneren Empfindungen in Verbindung zu treten (z.B. das Gefühl von Hunger oder Wärme/Kälte).
Wenn wir uns gereizt oder unwohl fühlen, suchen wir meistens nach einem Grund in der Außenwelt – „Ach ja, da war ja dieses Gespräch mit meiner Kollegin…“, „Ich bin einfach so gestresst zur Zeit.“ – was ein fataler Fehler ist. Viele unserer Stimmungen basieren nämlich nicht unbedingt auf äußeren Umständen, sondern auf inneren Körperprozessen. Wie in der Snickers Werbung braucht unser Körper vielleicht einfach nur eine Energiezufuhr, oder er ist dehydriert, hat zu wenig Schlaf bekommen oder eine zu große Zufuhr an Fetten oder Zucker. All das kann einen wesentlichen Einfluss auf dein emotionales Empfinden nehmen. Deshalb: wenn du wieder einmal mit einem schlechten Gefühl aufwachst, schmeiss nicht gleich dein negatives Gedankenkarussell an, sondern versuche in deinen Körper hinein zu hören und zunächst erst einmal seine Bedürfnisse zu stillen.
Man hat festgestellt, dass besonders bei Depressionen und Traumata die Fähigkeit der Körperwahrnehmung gestört ist, aber auch chronischer Stress und allgemeine Umwelteinflüsse können einen negativen Einfluss darauf nehmen.
Bei der Regulierung von Emotionen als auch bei der Bekämpfung von Ängsten spielt die Interozeption eine entscheidende Rolle, sie hat also einen enormen Einfluss auf unser Wohlbefinden.
Je besser du die Signale deines Körpers wahrnehmen kannst, desto mehr wirst du in der Lage sein, deine Gefühle differenzierter zu interpretieren, was dir wiederum helfen wird klügere Entscheidungen zu treffen!
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Höchste Zeit also, um uns das einmal genauer anzusehen!
Wie kommt denn das Gehirn eigentlich an all die Informationen aus dem Inneren?
Der Hauptinformationsgeber für unser Gehirn ist der Vagusnerv, der schon seit längerer Zeit im Interesse der Wissenschaft steht.
Der Vagusnerv ist der größte und wichtigste Nerv des parasympathischen Systems (das für Ruhe und Entspannung zuständig ist) und durchzieht den Körper vom Darm über alle inneren Organe bis ins Gehirn, so übermittelt er z.B. Informationen über deine Atmung, deinen Herzschlag oder deinen Hormonspiegel.
Die meisten seiner Informationen sendet der Vagusnerv an einen Bereich mitten in unserem Gehirn: die Insula (oder auch Inselrinde).
Und das ist sie: die Schaltzentrale der Interozeption!
Die Hirnregion tief im Inneren des Cortex lässt sich in drei Teile unterscheiden und wertet alle Informationen aus deinem Körper aus, gleicht sie mit den sensorischen Daten (deinen Sinneswahrnehmungen) ab und ordnet ihnen eine Emotion zu.
Um die Funktionsweise der Insula besser zu verstehen, hier das Beispiel eines rennenden Mannes:
Unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit hängen also stark davon ab, wie gut die Qualität, die Weiterleitung sowie die Verarbeitung der eingegangenen Informationen sind.
Ein einfacher Test, um deine eigene Interozeption zu beurteilen ist: Setze dich entspannt hin und lasse deinen Atem fließen, schließe nun deine Augen und versuche den Herzschlag in deiner Brust zu spüren. Kannst du jede Bewegung wahrnehmen und den Rhythmus zählen?
Nein? Keine Sorge, das konnte ich am Anfang auch nicht differenziert.
Allerdings kann eine nicht bis kaum vorhandene interozeptive Wahrnehmung auch der Hinweis auf eine Depression oder eine Erschöpfung sein. Denn die verminderte Fähigkeit die eigenen Körpersignale zu spüren, geht oft mit dem Gefühl von emotionaler Taubheit oder Lethargie einher.
Menschen mit Angstzuständen hingegen nehmen ihre interozeptiven Signale häufig als sehr heftig wahr, können sie aber meistens nicht richtig lesen. Sie können zum Beispiel eine kleine Veränderung der Herzfrequenz als viel größer interpretieren, als sie tatsächlich ist, was dazu führen kann, dass sie ihre Gefühle "katastrophisieren" und ihr Empfinden der Panik verstärken.
Eine Insula die, aus welchen Gründen auch immer, nicht richtig funktioniert kann die inneren Prozesse nur unzureichend regulieren, so dass es auch noch zu anderen Symptomen kommen kann, wie zum Beispiel Probleme mit der Verdauung, dem Blutdruck oder dem Schmerzempfinden.
Mit einer gut regulierten Insula hingegen verbessert sich die Interozeption und das emotionale Empfinden stabilisiert sich, denn je besser wir in unseren eigenen Körper hinein spüren können, desto einfacher können wir Emotionen identifizieren und regulieren.
Eine funktionierende Insula ist somit die Grundlage für ein gesundes, stressreduziertes, zufriedenes Leben.
Das Gute ist:
Wie jedes Hirnareal passt sich die Insula den gegebenen Umständen ständig neu an. Sie ist veränderbar und trainierbar!
Diese drei kleinen Übungen trainieren deine Insula und können dir helfen, eine bessere Verbindung mit deinem Körperinneren herzustellen:
1. Die Umgebung wahrnehmen
Eine gute Möglichkeit besser mit seinem eigenen Körper in Kontakt zu kommen kann es sein, sich zunächst über die Sinne mit der Umgebung zu verbinden. Diese Übung kannst du immer wieder in deinen Alltag einbauen, zum Beispiel auf dem Weg zur Arbeit oder beim Warten auf den Bus.
I. Sehen: Sieh dich in deiner Umgebung um und benenne 4 Dinge, die in deinen Blick geraten. Gehe dabei achtsam vor und betrachte jedes dieser Dinge einige Sekunden mit voller Aufmerksamkeit.
II. Hören: Nimm vier Töne in deiner Umgebung wahr und benenne sie. Fokussiere dich einen Moment lang auf jeden einzelnen dieser Töne (das können Stimmen sein, Autogeräusche, Musik etc.).
III. Riechen: Versuche die Gerüche in deiner Umgebung wahrzunehmen. Kannst du differenzieren? Wie würdest du die Gerüche, oder den Geruch, beschrteiben?
IV. Fühlen: Nimm vier Dinge deines eigenen Körpers wahr. Spüre zum Beispiel in deine Füße, wie fühlt sie sich an. Sind sie vielleicht kalt? Gehe dabei frei von Wertung vor. Wenn dir dieser Schritt schwer fällt, kannst du zunächst auch erst einmal Dinge in deiner Umgebung anfassen und mit ganzer Aufmerksamkeit spüren, wie sich das anfühlt.
2. Heiß und kalt
Um zu lernen deinen Körper besser zu spüren kannst du das Empfinden von kalt und warm miteinander vergleichen.
Fülle hierzu zwei Schüsseln mit Wasser, eine mit eiskaltem und die andere mit heißem (Achtung, nicht zu heiß!).
Halte nun jeweils eine Hand in eine der beiden Schüsseln (du kannst es später zum Beuspiel auch mit deinen Füßen ausprobieren). Nachdem du deine Hände für ca. eine Minute untergetaucht hast, nimm sie heraus und lege sie mit den Handinnenflächen nach oben vor dir hin.
Spüre in jede deiner Hände hinein und nehme die Empfindungen wahr.
Beobachte ohne zu werten die unterschiedlichen Empfindungen und konzentriere dich für einige Minuten darauf.
3. Luftnotübung
Stress nimmt Einfluss auf unsere Atmung, wir atmen flacher und schneller und weniger lang aus. Infolgedessen wird unser Blut mit zu wenig Kohlenstoffdioxid versorgt.
Luftnotübungen können alle Bereiche der Insula aktivieren.
Diese Übung kann auch in akuten Stresssituationen angewandt werden.
Halte die Luft während leichter körperlicher Arbeit an (Treppensteigen, Spaziergang etc.). Sobald du den Impuls hast Einzuatmen, hör auf auf und versuche wieder in gewohntem Atemtempo weiter zu atmen.
Du wirst schnell merken, je öfter du die Übung durchführst, desto länger kannst du die Luft halten, deine Inselrinde hat sich also selbst reguliert.
Für Fortgeschrittene: Atme vor dem Luftanhalten aus.
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